16
Februar
2011
|
02:32
Europe/Amsterdam

Ein innovatives Energiekonzept für ein traditionelles Haus

 

Die Ausgangssituation stellt sich als unsanierte Doppelhaushälfte eines Siedlerhauses aus den 1950er Jahren mit einer Grundfläche von 8 x 8 m sowie einem kleinem Anbau als Nebengelass dar. Das Wohngebäude besteht aus kleinen gedrungenen Räumen mit insgesamt nur 18 m² Fensterflächen, die die Räume mit einer eher dürftigen Tageslichtausbeute versorgen. Bedingungen also, die gemeinsam mit der veralteten Dämm- und Heizungstechnik nicht mehr heutigen Komfortansprüchen und Wohnbedürfnissen genügen. Dem gegenüber trägt ein großer Nutzgarten auf dem 1.110 m² großen Areal zum positiven Lebensgefühl bei. Der Garten sollte den Bewohnern früher die Selbstversorgung durch den eigenen Anbau von Obst und Gemüse ermöglichen, das Nebengelass diente einst als Stallgebäude.

 

Inspiriert durch diese Tradition der Selbstversorgung entstand in Zusammenarbeit von VELUX und dem Expertenteam um Professor Manfred Hegger (Lehrstuhl für Entwerfen und Energieeffizientes Bauen, TU Darmstadt) im Rahmen eines integralen Planungsprozesses ein Projekt, das zukunftsweisend die Idee der Energie-Autarkie in den Mittelpunkt rückt. Das Wohngebäude soll weitgehend erhalten, aber modernisiert werden. Mit einem Erweiterungsbau für den alten Anbau lassen sich einerseits deutliche Wohn- und Nutzflächengewinne erzielen und andererseits weitere Perspektiven bei der Umsetzung des Energiekonzepts eröffnen.


Das Energiekonzept

Das Energiekonzept des LichtAktiv Hauses verfolgt das Ziel, CO2-Neutralität im Betrieb zu realisieren. Die im Gebäude benötigte Energie inklusive des Haushaltsstroms deckt sich vollständig durch erneuerbare Energien, ohne auf eine attraktive Architektur mit hohem Wohnwert, Behaglichkeit, reichlich Tageslicht und frischer Luft verzichten zu müssen. Die Grundlage des Energiekonzepts bildet neben der intelligenten Architektur und ausgefeilten Gebäudetechnik die energetische Ertüchtigung des Bestandsgebäudes.

 

Hohe Tageslichtausbeute bei optimalen solaren Energiegewinnen

Neben der optimierten Wärmedämmung bieten insbesondere die Dachfenster durch ihren hohen Anteil an der Gesamtfensterfläche ein bemerkenswertes Energie-Einsparpotenzial sowie zusätzliche solare Energiegewinne. Architektonisches Ziel ist es, die Fenster weitgehend in die Ideen des Energiekonzeptes zu integrieren. Die ausgewählten Fenster schaffen durch Größe, Standortwahl und Beschaffenheit genau die benötigte Balance zwischen erforderlicher Wärmedämmung (U-Wert) und Nutzung passiver Wärmegewinne (g-Wert), um den Energiebedarf des LichtAktiv Hauses höchstmöglich zu minimieren. Hinzu kommt eine großzügige Tageslichtausbeute – bei Dachfenstern ist sie gegenüber gleich großen Fassadenfenstern rund zweifach höher, gegenüber Gauben sogar um mehr als das Dreifache. Dadurch reduziert sich der Einsatz von elektrisch erzeugtem Kunstlicht deutlich und setzt weitere Einsparmöglichkeiten frei.

 

Autarke Energieversorgung intelligent gesteuert

Für die autarke nachhaltige ganzjährige Energieversorgung auf Basis regenerativer Erzeugung sorgt als Herzstück der Gebäudetechnik die Solar Compleet-Anlage, die Solarthermie mit einer Luft-/Wasser-Wärmepumpe (Jahresarbeitszahl 3,7) kombiniert und den größten Teil des Bedarfs an Heizwärme und Warmwasser deckt. Die Wärmepumpe mit Solareinbindung nutzt sowohl die Sonne als auch die Umweltwärme aus der Luft zur Energiegewinnung. Ein Ventilator saugt die Außenluft an und leitet sie durch die Außeneinheit. Die Wärme wird an die Wärmepumpe abgegeben anschließend direkt in das Heizungssystem geleitet. Auch der Energieertrag der integrierten 22,5 m² großen solarthermischen Anlage läuft direkt in die Wärmepumpe, wodurch keine Übertragungsverluste entstehen. Weil die Wärmepumpe unmittelbar in den Solarkreis eingebunden ist, erhöht sich der Wirkungsgrad um 25 Prozent (Jahressystemarbeitszeit 4,94) gegenüber einer herkömmlichen Anlage.

 

Eine Besonderheit des Solar Compleet-Systems: Die Wärmepumpe heizt im Heizbetrieb nicht erst auf den Puffer, sondern fährt direkt in die Heizkreise. So werden Abstrahlverluste durch den Speicher vermieden und der Energieaufwand ist niedriger, als bei herkömmlicher Pufferung im Speicher. Lediglich der erzeugte Wärmeüberschuss wird in einem Speicher eingelagert. Die Wohnräume werden über eine Fußbodenheizung temperiert. Die benötigte Restmenge an Energie für Haushaltsstrom, Beleuchtung, Hilfsstrom für Wärmepumpe und ähnliches beträgt nur noch etwa ein Drittel des gesamten Energiebedarfs. Dem stehen in gleichem Umfang Energiegewinne durch Photovoltaik-Elemente gegenüber. Dem Farbkonzept des Gebäudes entsprechend, wurden graue polykristalline Photovoltaikzellen gewählt. Die Glas-Glas-Photovoltaikmodule haben eine Fläche von insgesamt zirka 75 m² und nutzen damit die gesamte verfügbare Dachfläche des Neubauriegels aus. Die reine Modulfläche beträgt zirka 58 m². Sowohl der Heizenergie- und Wärmebedarf als auch der Strombedarf in Höhe von zusammen 108,5 kWh/m² im Jahr werden durch die eigenen Erzeugungsanlagen der kombinierten Solar-Luft-/Wasser-Wärmepumpe sowie durch Photovoltaik mit einer Ausbeute von insgesamt 108,6 kWh/m² im Jahr ausgeglichen. Alle verursachten CO2-Emissionen erfahren durch regenerative Energieerzeugung eine vollständige Neutralisierung.

 

Natürliches Klimatisieren statt Klimaanlage

Ebenfalls dem Nachhaltigkeitsanspruch und Energiekonzept verpflichtet sind die Lösungen der Be- und Entlüftung des Gebäudes. Um den aufwendigen nachträglichen Einbau von Lüftungsschächten zu vermeiden, wird der notwendige Mindestluftwechsel mit automatischen Dach- und Fassadenfenstern realisiert. In dem aus energetischen Gründen luftdichten Gebäude öffnen und schließen je nach Temperatur, CO2-Konzentration und Luftfeuchtigkeit die Fenster automatisch, so dass ein gesundes und behagliches Raumklima gesichert ist. Wobei kein Gerät, sondern die Natur selbst durch den Winddruck auf das Gebäude und die Temperaturunterschiede zwischen außen und innen für eine gute Frischluftzufuhr sorgt. Mit unterschiedlich hoch eingebauten Fenstern wird zusätzlich ein Kamineffekt erzeugt, der von unten nach oben eine natürliche Belüftung unterstützt. Durch das intelligente Zusammenspiel von temperatur- und lichtabhängig gesteuerten Rollläden und Sonnenschutzelementen mit den Fenstern wirkt das gesamte System wie eine natürliche Klimaanlage.

 

Energetische Ertüchtigung des Bestandsgebäudes

Zentraler Bestandteil des Energiekonzepts ist es, den Altbau nach modernsten Erkenntnissen zu dämmen. Aufgrund der niedrigen Geschosshöhe und der fehlenden Unterkellerung, wurde auf der vorhandenen Betonsohle oberseitig eine Polyurethandämmung verlegt und darauf das Fußbodenheizungssystem angeordnet. Eine 200 mm dicke mineralische Dämmung aus Steinwolle sorgt für die energetische Optimierung der Fassade. Die Sparren des neuen Kehlbalkendachs mit einer Höhe von 220 mm wurden vollständig ausgedämmt. Die Stärke der außenseitig angeordneten Holzfaserdämmstoffplatten beträgt 35 mm. Aus der Geometrie und den weiteren Randbedingungen (unter anderem Luftdichtheit mit n50 = 1,0/h und optimierte Wärmebrücken mit DUWB = 0,05 W/m²K) ergab sich ein Primärenergiebedarf nach EnEV von 42,28 kWh/m²a für das Gesamtgebäude. Der Wert entspricht einem Drittel (34,5 %) des für das EnEV-Referenzgebäude zulässigen Energiebedarfs. Bei der gesamtenergetischen Betrachtung des LichtAktiv Hauses gingen die Berechnungen sogar über die Anforderungen der EnEV hinaus. So wurden abweichend von der EnEV 2009 spezielle Klimadaten für Hamburg, der energetische Bedarf von Beleuchtung und Geräten (Haushaltsstrom) sowie die Abluftanlage (kurzzeitige Lüftung) berücksichtigt. Außerdem berechnete das Expertenteam die Werte jeweils für das komplette Haus, das heißt Altbau und Neubau. Weiterhin wurden solare Energieeinträge auch außerhalb der Heizzeit berücksichtigt.

 

Die dem energetischen Ziel verpflichtete, aber dennoch hoch anspruchsvolle Architektur schafft völlig neue Aufenthalts- und Verkehrsflächen. Es entsteht ein offenes Treppenhaus, das mit großflächigen Dachfenstern den gesamten Raum vom Erdgeschoss bis zum Dach mit viel natürlichem Licht versorgt, Tageszeiten erlebbar macht und Energie für eine künstliche Beleuchtung einspart. Die geschickt angeordnete Treppe behindert nicht den Lichteinfall und unterstützt in ihrer Farbgebung die Lichtausbeute. Ein Geländer aus weißem Stahlrohr schafft größtmögliche Transparenz und Helligkeit. Der Treppenbereich, einst schmuckloses architektonisches Stiefkind des Gebäudes, wird außerdem mit seiner fast 5 m langen Fensterfront zum Garten hin zum Erlebnisbereich, denn er eröffnet nicht nur den ungestörten Blick ins Freie, sondern auch bei jedem Wetter eine enge Beziehung zur Natur.

 

Im Erdgeschoss verbleiben zwei Kinderzimmer und ein Bad. Im Obergeschoss werden ein Elternschlafzimmer, ein Ankleideraum und ebenfalls ein Bad eingerichtet. Der ehemals dunkle Spitzboden verwandelt sich dank großzügiger Dachfenster in einen zusätzlichen Wohnraum.

 

Der Erweiterungsbau: Energieeffizienz und Wohnwert vereint

Der Neubau schafft nicht nur den nach modernen Nutzungsansprüchen benötigten Flächenzuwachs um mehr als 30 Prozent, sondern ist in seiner Konstruktion, Gestaltung und Konzeption als optimierte Verkörperung des Vorgängerbaus zu sehen. Die Holzrahmenkonstruktion sowie die Dach- und Bodenaufbauten können auf U-Werte zwischen 0,12 und 0,14 W/(m²K) verweisen. Um ein optimales Zusammenspiel zwischen Belichtung, passiven Wärmegewinnen und sommerlichem Wärmeschutz zu erzielen, werden sowohl die Süd- als auch die Nordfassade teilweise aus transparenten Bauteilen errichtet. Die Giebelseiten bleiben weitgehend geschlossen. Die Raumaufteilung ist grundsätzlich flexibel angelegt. Raumteilende Möbel schaffen Platz für einen Wohn-, Koch- und Essbereich und garantieren dennoch ein Höchstmaß an Variabilität und Nutzungsfreiheit. Im westlichen Kopf des Anbaus befinden sich ein Haustechnikraum, eine Vorratskammer sowie ein Gäste-WC. Den Abschluss bildet ein Carport, der aus der Konstruktion des Anbaus hervorgeht. Am östlichen Kopfbereich schließt sich eine überdachte Terrasse an den Wohnbereich an, die als Verbindung zwischen Innen und Außen, als Raum zwischen dem Leben im Garten und mit dem Garten ein hohes Maß an Lebensqualität bietet. Insgesamt erhöht sich die Wohnfläche von 95 auf 132 m2, die Fensterfläche des Gebäudes vergrößert sich von 18 auf 93 m².

 

Im LichtAktiv Haus spielen steigende Energiepreise keine Rolle. Dank ausgefeilter Tageslicht-, Belüftungs- und Beschattungskonzepte sowie einer durchdachten Raumplanung wird der gesamte Energiebedarf für Heizung-, Warmwasser und Strom nachhaltig ganzjährig durch Sonnen- und Umweltenergie gedeckt. Die Idee der energetischen Autarkie erhält auch ohne Abstriche an die architektonische Freiheit und gestalterische Vielfalt eine ganz neue Dimension.

 

Steckbrief LichtAktiv Haus

Bauprojekt

LichtAktiv Haus, Katenweg 41, 21109 Hamburg

Bauweise

  • Modernisierte Doppelhaushälfte mit neuem Holzdachstuhl
  • Erweiterungsneubau in Holzrahmenbauweise mit mineralischem Dämmstoff (in Ständertiefe) und außenliegender Holzfaserdämmstoffplatte

Bauzeit

April bis November 2010

Sachwert

460.000 Euro brutto

Bauherr

VELUX Deutschland GmbH

Projektträger

VELUX Gruppe

Wohnfläche

132 m²

Überbaute Fläche

244 m²  (inkl. Terrasse)

Umbauter Raum

520 m3

Entwurfsplanung

TU Darmstadt, Fachbereich Architektur, Lehrstuhl für Entwerfen und Energieeffizientes Bauen, Prof. Dipl.-Ing. M.Sc. Econ. Manfred Hegger; Katharina Fey (damalige Gewinnerin des integrierten Studentenwettbewerbs)

Energiekonzept

HL-Technik Engineering Partner GmbH,
Prof. Klaus Daniels

Lichtplanung

Prof. Peter Andres PLDA,
Beratende Ingenieure für Lichtplanung

Statik

TSB-Ingenieure,
Prof. Dr.-Ing. Karsten Tichelmann

Ausführender Architekt

Ostermann Architekten

Holzbau / Ausführender Zimmermann

Vogl & Hartmann GmbH