28
September
2011
|
02:39
Europe/Amsterdam

Energetische Modernisierung im Bestand mit ökologischen Vorteilen

Ökobilanz belegt hohe Praxisrelevanz des LichtAktiv Haus Experiments für deutschen Immobilienbestand

 

Vor dem Hintergrund des einsetzenden Klimawandels, der Verknappung fossiler Brennstoffe sowie dem in Deutschland beschlossenen Ausstieg aus der Atomenergie stehen Architektur und Bauwirtschaft vor großen Herausforderungen: Da Gebäude 40 Prozent des gesamten Energieverbrauchs verursachen, spielt ihre Energieeffizienz für die Reduzierung der CO2-Emissionen eine zentrale Rolle. Mit Wärmeschutz- und Energieeinsparverordnung hat der Gesetzgeber bereits seit Mitte der 70er Jahre die Anforderungen an Neubauten kontinuierlich erhöht und damit deren Energieverbrauch deutlich reduziert. Jedoch sind etwa 70 Prozent der Gebäude in Deutschland älter als 30 Jahre und erfüllen damit noch nicht einmal die Vorgaben der ersten Wärmeschutzverordnung von 1976. Hier liegen enorme Potenziale für Energieeinsparung und Klimaschutz.

 

Auf der Suche nach Bauen und Wohnen der Zukunft

Mit dem LichtAktiv Haus zeigt VELUX im Rahmen der Internationalen Bauausstellung (IBA) Hamburg, wie sich höchster Wohnwert bei gleichzeitiger Energieautarkie auch im Bestand verwirklichen lässt. Die Modernisierung eines typischen Siedlerhauses aus den 50er Jahren ist Teil des internationalen VELUX Experiments Model Home 2020, in dessen Rahmen das Unternehmen auf der Suche nach dem Bauen und Wohnen der Zukunft europaweit sechs Konzepthäuser umsetzt. Beim deutschen Beitrag handelt es sich um eine in Hamburg Wilhelmsburg gelegene Doppelhaushälfte, die nach neuesten Erkenntnissen gedämmt und modernisiert wurde. Außerdem wurde das Konzepthaus um einen neu errichteten Anbau erweitert. Dieser bietet nicht nur zusätzliche Wohnfläche, sondern steht auch im Mittelpunkt des innovativen Energiekonzeptes. Die auf dem Dach des Anbaus installierten Photovoltaik- und Solarthermie-Module erzeugen in Kombination mit einer Luft-Wasser-Wärmepumpe die im LichtAktiv Haus für Heizung, Warmwasser und Strom benötigte Energie. Um bei der späteren Auswertung des Experiments die Umweltwirkungen des LichtAktiv Hauses ganzheitlich darstellen zu können, beauftragte VELUX bereits in der Planungsphase Dipl.-Ing. Joost Hartwig vom Fachgebiet Entwerfen und Energieeffizientes Bauen an der TU Darmstadt mit der Erstellung einer Ökobilanz.

 

Globaler Ausgleich als Basis

Eine solche ganzheitliche Betrachtung berücksichtigt neben dem Energieverbrauch im Betrieb auch die Umweltwirkungen der Gebäudekonstruktion. In die Berechnungen fließen deshalb alle Stoff- und Energieströme ein, die für die Produktion der Baumaterialien und für den Bauprozess selbst sowie für den Abriss und die Entsorgung des Gebäudes anfallen. Hinzu kommen die Aufwendungen für die Instandhaltung und die Energieverbräuche während der Gebäudenutzung. Im ersten Schritt werden all diese Stoff- und Energieströme im Rahmen einer sogenannten Sachbilanz erfasst und dann ihre Umweltwirkungen für unterschiedliche Wirkungskategorien, wie beispielsweise ihr Treibhaus- oder Ozonabbaupotenzial, berechnet. Damit ermöglicht die Auswertung der Ökobilanz sowohl eine Betrachtung der Umweltwirkungen des Gebäudes als Ganzes als auch die Betrachtung einzelner Bauelemente.

 

Dabei berücksichtigt die Methode der Ökobilanz als globales Kompensationsmodell auch das Vermeiden von Umweltwirkungen an anderer Stelle. So erhalten beispielsweise Baustoffe mit einem hohen Recyclingpotential eine rechnerische Gutschrift auf ihre Umweltwirkungen, da durch ihr Recycling an anderer Stelle Energie- und Ressourcenverbrauch vermieden werden können. Holzprodukte haben sogar eine negative CO2-Bilanz, da das Holz am Ende des Lebenszyklus verbrannt wird. Die dabei freiwerdende Energie kann genutzt werden und ersetzt somit Energie, die ansonsten aus anderen, zum Teil nicht regenerativen Ressourcen, gewonnen werden müsste. Auch die Nutzung regenerativer Energien während des Betriebs, wie beispielsweise selbst erzeugter Solarstrom, wird mit Gutschriften in der Ökobilanz berücksichtigt. Denn durch den regenerativ erzeugten Strom wird in der Nutzungsphase die Erzeugung von Strom aus anderen, nicht regenerativen Energiequellen reduziert und damit CO2-Emissionen vermieden – und zwar deutlich mehr als zuvor bei der Herstellung der Photovoltaikanlage emittiert wurden.

 

DGNB-Verfahren gewährleistet Vergleichbarkeit

Für die Erstellung der Ökobilanz des LichtAktiv Hauses nutzte die TU Darmstadt das „Vereinfachte Verfahren“ der Deutschen Gesellschaft für nachhaltiges Bauen (DGNB). Dieses enthält Vorgaben zur Vereinheitlichung der Untersuchung. Unter anderem erlaubt es die DGNB Methode, Stöße und Verschneidungen mit anderen Bauteilen bei der Sachbilanz zu vernachlässigen. Ausgeglichen wird diese Vereinfachung mit einem pauschalen Aufschlag von 10 Prozent. Zudem ermöglicht das Verfahren den Vergleich mit einem vom DGNB definierten Referenzgebäude. Bei diesem handelt es sich um ein durchschnittliches Vergleichsgebäude, das zur besseren Einordnung der Ergebnisse der Ökobilanz dient. Für die Gebäudekonstruktion gelten dabei feste Referenzwerte und für den Gebäudebetrieb werden die Endenergieverbräuche des EnEV-Referenzgebäudes mit einem konventionellen Heizsystem nachgebildet.

 

Für die Erstellung der Sachbilanz des LichtAktiv Hauses erfasste die TU Darmstadt zunächst die Regelaufbauten, wie die Wände inklusive Türen und Fenster sowie Bodenplatten, Geschossdecken und Dach. Anschließend wurden die Ergebnisse der Sachbilanz mit den entsprechenden Ökobilanzdaten verknüpft und so die Umweltwirkungen der Konstruktion berechnet. Hierfür nutzte die TU verschiedene im Internet zur Verfügung stehende Datenbanken, wie zum Beispiel die Ökobau.dat-Datenbank (www.nachhaltigesbauen.de) des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Diese größte frei verfügbare Sammlung von Ökobilanzdaten für den Gebäudebereich in Deutschland basiert auf konkreten Produktökobilanzdaten einzelner Hersteller sowie auf Durchschnittsdatensätzen für einzelne Produktgruppen, die extra für die Ökobau.dat erstellt wurden.

 

Zusätzlich zu den Umweltwirkungen der Konstruktion wurde auch der Energiebedarf im LichtAktiv Haus während der Nutzungsdauer in die Ökobilanz einbezogen. Dem auf Basis der EnEV-Berechnung kalkulierten Stromverbrauch für Wärmeerzeugung und Haushaltsstrom von insgesamt 220.710 kWh über den angenommenen Zeitraum von 50 Jahren steht photovoltaisch erzeugter Strom in Höhe von 392.980 kWh gegenüber. Daraus ergibt sich ein rechnerischer Strom-Überschuss in Höhe von 132.270 kWh, der in das lokale Netz eingespeist wird. Das LichtAktiv Haus ist somit ein gutes Beispiel dafür, dass ein Plusenergiehaus nicht unbedingt ein Neubau sein muss.

 

Ökobilanz des LichtAktiv Hauses bestätigt Vorteile

Für die Auswertung der Ökobilanz wurden alle errechneten Umweltwirkungen auf einen Quadratmeter Nettogrundfläche heruntergebrochen und im Vergleich mit dem Referenzgebäude dargestellt. Dabei zeigt sich, dass die Umweltwirkungen des LichtAktiv Hauses in allen betrachteten Wirkungskategorien deutlich unter denen des Referenzgebäudes liegen. Ausschlaggebend hierfür ist vor allem die Nutzung der vorhandenen Primärstruktur des Bestandsgebäudes – also Wände, Bodenplatte und Zwischendecken –, denn diese gehen in der Regel auf Grund ihrer Masse mit einen Beitrag von etwa 50 Prozent in die meisten Wirkungskategorien ein. Da sie beim LichtAktiv Haus zum größten Teil nicht mehr errichtet werden mussten und daher ohne Umweltwirkungen in die Bilanz eingehen, wird die Gesamtbilanz für das LichtAktiv Haus entsprechend reduziert. Auch die konsequente Ausführung des neuen Anbaus als Holzbau wirkt sich in der Gesamtbilanz äußerst positiv aus, da die oben beschriebenen Vorteile von Holzwerkstoffen der Bilanz gutgeschrieben werden. Die größten Umweltwirkungen des Neubaus resultieren dementsprechend aus der massiven und massereichen Bodenplatte.

 

Zudem deckt das LichtAktiv Haus seinen gesamten Energiebedarf mit erneuerbaren Energien und produziert dank des intelligenten Energiekonzeptes im Betrieb mehr Energie, als von seinen Bewohnern und dem Gebäude selbst theoretisch verbraucht wird. Der überschüssige Strom wird in das Stromnetz eingespeist und der Ökobilanz des LichtAktiv Hauses in den entsprechenden Wirkungskategorien gutgeschrieben, da er die Erzeugung von Strom aus anderen, nicht regenerativen Quellen vermeidet. Dies führt dazu, dass auch die Emissionen, die durch Herstellung, Instandhaltung und Entsorgung der Gebäudekonstruktion anfallen, mit fortschreitendem Betrieb rein rechnerisch abgebaut werden.

 

So erreicht das LichtAktiv Haus beispielsweise nach 26 Jahren ein neutrales Treibhauspotential – d.h. alle Treibhausgasemissionen, die bei Herstellung, Instandhaltung und Entsorgung anfallen, werden bis dahin in entsprechender Menge eingespart. Im Gegensatz dazu erreicht das konventionelle DGNB-Referenzgebäude nie ein neutrales Treibhauspotenzial, da es innerhalb seiner Betriebszeit nur Energie verbraucht und selbst keine erzeugt. Selbst mit der gleichen Photovoltaikanlage wie auf dem LichtAktiv Haus würde es beim DGNB-Referenzgebäude auf Grund der höheren Umweltwirkungen der Gebäudekonstruktion mindestens doppelt so lange dauern, bis ein neutrales Treibhauspotenzial erreicht wäre.

 

Fazit

Mit dem LichtAktiv Haus Experiment gibt VELUX einen Ausblick auf das Bauen und Wohnen der Zukunft und zeigt beispielhaft, dass sich durch innovative Modernisierung höchste Energieeffizienz auch im Bestand verwirklichen lässt. Zudem belegt die von der TU Darmstadt erstellte Ökobilanz, dass die Umweltwirkungen des LichtAktiv Hauses erheblich geringer sind als die des DGNB Referenzgebäudes und sogar im Verlauf des Lebenszyklus des Gebäudes teilweise oder sogar vollständig ausgeglichen werden. Damit stellt das modernisierte Siedlerhaus unter den gegebenen Umständen ein ökologisches Optimum dar und unterstützt die Annahme, dass die umfangreiche Modernisierung eines Bestandsgebäudes deutliche Vorteile gegenüber einem konventionellen Neubau haben kann. Betrachtet man zudem den sanierungsbedürftigen Gebäudebestand als quasi unerschöpfliche Ressource, wird deutlich, welche Relevanz die Ökobilanz des LichtAktiv Haus für Planer, Besitzer oder Käufer von Immobilen haben kann.

 

 

Übersicht Umweltwirkungen

Wirkungskategorien beschreiben jeweils eine bestimmte potentielle Umweltwirkung und werden mittels eines Stoffäquivalents dargestellt. Im Gebäudebereich werden üblicherweise die folgenden Wirkungskategorien betrachtet:

 

Treibhauspotenzial GWP [kg CO2-Äquivalent]

Das Treibhauspotenzial (Global Warming Potential) beschreibt den Beitrag eines Stoffs zur Klimaerwärmung. Alle Emissionen werden bezüglich ihres potenziellen Treibhauseffektes zu CO2 ins Verhältnis gesetzt und in kg Kohlendioxid-Äquivalent (CO2-Äquivalent) angegeben.

 

Ozonabbaupotenzial ODP [kg R11-Äquivalent]

Das Ozonabbaupotential beschreibt den Beitrag eines Stoffes zur  Zerstörung der Ozonschicht in der Stratosphäre und wird in kg Trichlorfluormethan-Äquivalent (R11-Äquivalent) angegeben.

 

Photochemisches Oxidantienbildungspotenzial POCP [kg C2H4-Äquivalent]

Das Photochemische Oxidantienbildungspotenzial, auch Ozonbildungspotenzial, beschreibt die Entstehung von aggressiven Reaktionsprodukten unter Einwirkung von Sonnenstrahlung und wird in kg Ethen-Äquivalent (C2H4-Äquivalent) angegeben. Die entstehenden Reaktionsprodukte, insbesondere Ozon, werden auch Sommersmog genannt und wirken in höheren Konzentrationen toxisch auf den Menschen, Nutzpflanzen und ganze Ökosysteme.

 

Versauerungspotenzial AP [kg SO2-Äquivalent]

Das Versauerungspotenzial wird den Beitrag eines Stoffs zur Entstehung von saurem Regen bezeichnet. Dieser führt zu Waldschäden und der Versauerung von Böden. Außerdem unterstützt er die Korrosion von Metallen und die Zersetzung von Naturstein bei. Verantwortlich hierfür sind vor allem die Emissionen aus der Verbrennung schwefelhaltiger fossiler Brennstoffe wie Kohle und Öl bei, sowie Stickoxide, die ebenfalls bei Verbrennungsprozessen freigesetzt werden. Das Versauerungspotenzial wird in kg Schwefeldioxid-Äquivalent (SO2-Äquivalent) angegeben.

 

Eutrophierungspotenzial EP [kg PO43-Äquivalent]

Unter Eutrophierung bzw. Überdüngung versteht man die lokale Anreicherung von Nährstoffen in einem Ökosystem. In einem Gewässer kann dies zu vermehrtem Algenwachstum und in der Folge zum biologischen Tod („Umkippen“) des Gewässers führen. Verantwortlich hierfür sind vor allem Phosphor und Stickstoff zum Beispiel aus Düngemitteln oder Haushalts- und Industrieabwässern. Ein hoher Nährstoffeintrag führt außerdem zur Nitratanreicherung im Grund- und Trinkwasser, wo es zu für Menschen giftigem Nitrit reagieren kann. Das Überdüngungspotenzial wird in PO43--Äquivalent angegeben.

 

Primärenergieinhalt PEI [MJ]

Der Primärenergieinhalt eines Baustoffs beschreibt den zur Herstellung, Nutzung und Entsorgung des Materials notwendigen Aufwand an Energieträgern. Dabei wird zwischen nicht erneuerbarer (z.B. Erdöl, Erdgas, Kohle, Uran) und erneuerbarer Primärenergie (z.B. Strom aus Windkraft) unterschieden. Es handelt sich im Gegensatz zu den zuvor beschriebenen Umweltwirkungen um eine Input-bezogene Wirkungskategorie, die den Verbrauch von begrenzt vorhandenen Ressourcen beschreibt. Der Primärenergieverbrauch wird in Megajoule (MJ) Primärenergie angegeben.