08
Juli
2014
|
11:32
Europe/Amsterdam

Für die Zukunft gebaut, bewohnt und erforscht: Praxistest bestanden!

Wohnexperiment im Velux LichtAktiv Haus nach 2,5 Jahren erfolgreich abgeschlossen

Hamburg, Juli 2014. Hohe Wohnzufriedenheit bei den Bewohnern und eine gute Performance von Gebäude und Technik – dies sind die wichtigsten Ergebnisse des zweieinhalbjährigen, wissenschaftlich begleiteten Wohnexperiments im Velux LichtAktiv Haus. Damit bestätigt die in dieser Form erstmals durchgeführte interdisziplinäre Untersuchung eines als Nullenergiehaus konzipierten Gebäudes die theoretischen Planungen und Berechnungen des von Velux im Rahmen des internationalen Model Home 2020 Experiments modernisierten typischen Siedlerhauses aus den 50er Jahren.

„Mit unserem auf zweieinhalb Jahre angelegten Wohnexperiment im LichtAktiv Haus wollten wir zeigen, dass bereits mit den heute verfügbaren Kenntnissen und Baumaterialien CO2-neutrale Gebäude errichtet werden können, ohne dabei Kompromisse bei Wohnqualität einzugehen“, erklärt Dr. Sebastian Dresse, Geschäftsführer Velux Deutschland GmbH. „Die nun vorliegenden Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitforschung bestätigen unsere Annahmen grundsätzlich und zeigen, dass sich höchster Wohnwert und eine komfortable Nutzung erneuerbarer Energien auch bei der Modernisierung von Bestandsgebäuden verwirklichen lassen.“

So liegen die regenerativen Energieerträge durch die Photovoltaik-Module und Solarthermie-Kollektoren über den Erwartungen. Auch Wohnkomfort und Raumklima überzeugen: Die behaglichen Raumtemperaturen sowie das viele Tageslicht und die frische Luft im Haus werden von allen Mitgliedern der im Dezember 2011 eingezogenen Testfamilie als äußerst positiv empfunden. Die Testfamilie fühlt sich in ihrem modernisierten, tageslichtdurchfluteten Eigenheim auf Zeit sogar so wohl, dass sie das LichtAktiv Haus kaufen und dort wohnen bleiben möchte.

 

Einzig der zu hohe Stromverbrauch des eingesetzten Wärmepumpensystems trübt die positive Bilanz. Er lag auch 2013 über den theoretischen Berechnungen, sodass das Ziel „Nullenergie“ im modernisierten Siedlerhaus nicht erreicht werden konnte. Simulationen der TU Braunschweig mit einem alternativen Wärmepumpensystem haben jedoch ergeben, dass die ursprünglich kalkulierten Verbrauchswerte nicht nur eingehalten, sondern sogar unterschritten werden könnten. Aus diesem Grund ist geplant, die installierte Wärmepumpe im Verlauf des Sommers auszutauschen und die Verbrauchswerte des neuen Systems für ein weiteres Jahr zu erfassen und auszuwerten.

Parallel zu den physikalischen Messungen haben Soziologen der Humboldt-Universität zu Berlin die Erfahrungen der LichtAktiv Haus-Bewohner untersucht. Ziel des Wissenschaftsteams war es, das Gebäude von der Nutzerperspektive her zu evaluieren und so einen Bezug zwischen wahrgenommenem Komfort und Wohlbefinden der Testfamilie und den quantitativen Messwerten herzustellen. Gleichzeitig sollten die Untersuchungen im LichtAktiv Haus auch dazu dienen, mehr über die subjektive Wahrnehmung und Beurteilung von Wohnkomfort zu erfahren und ein standardisiertes Messinstrument zu dessen Erfassung zu entwickeln.

Hierfür wurde Wohnkomfort als mehrdimensionales Konstrukt konzeptualisiert und in Anlehnung an das Einstellungsmodell von Rosenberg und Hovland (1966) zwischen einer affektiven (Fühlen), einer kognitiven (Denken) und einer konativen (Handeln) Komponente unterschieden. Für die Datenerhebung wurde auf eine Reihe gängiger Instrumente aus der empirischen Sozialforschung zurückgegriffen, von persönlichen Interviews, über Fragebögen bis hin zur Möglichkeit der Bewohnerinnen und Bewohner, ihre Erfahrungen in einem Logbuch festzuhalten. Auf Basis der gewonnenen Erkenntnisse konnten die Wissenschaftler der Humboldt Universität mittels Skalentests und Faktorenanalysen zehn relevante Dimensionen des Wohnkomforts ermitteln. Beschrieben werden können diese mit „emotionaler Verbundenheit“, „Größe“, „Modernität“, „Helligkeit“, „Nachbarschaft“, „Temperaturregulierung“, „Energieverbrauch“, „Feuchtigkeit“, „Schlafbedingungen“ und „Belüftung“. Damit hat das Wissenschaftsteam einen großen Schritt hin zu einem standardisierten Messinstrument zur Erfassung des Wohn-Wohlbefindens gemacht. Dieses Erhebungsinstrument ist Voraussetzung, um zum Beispiel mit Hilfe allgemeiner Bevölkerungsumfragen Aussagen zum Wohlbefinden von Bewohnern energieeffizienter Gebäude machen zu können und diese mit den Ergebnissen aus anderen Wohnumgebungen vergleichen zu können. In einem nächsten Schritt soll nun das entwickelte Instrument in einer größeren Untersuchung getestet und angewendet werden.

 

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Das LichtAktiv Haus Experiment – Ein zum Nullenergiehaus modernisiertes Siedlerhaus unter der Lupe der Wissenschaft

Beim Velux LichtAktiv Haus handelt es sich um ein typisches Siedlerhaus aus den 50er Jahren, das im Rahmen des europaweiten Velux „Model Home 2020“ Projektes als Nullenergiehaus konzipiert und modernisiert wurde. Der Entwurf entstand im Rahmen eines Studentenwettbewerbs am Lehrstuhls für Entwerfen und Energieeffizientes Bauen an der TU Darmstadt. Auf dieser Basis erarbeitete ein Kompetenzteam bestehend aus Prof. Manfred Hegger, Prof. Klaus Daniels vom Lehrstuhl für Entwerfen und Gebäudetechnologie der TU Darmstadt und dem Lichtplaner und Honorarprofessor an der Peter Behrens School of Architecture in Düsseldorf, Prof. Peter Andres, eine hinsichtlich Energieeffizienz und Nutzerkomfort optimierte Lösung und begleitete die Ausführungs- und Umsetzungsplanung. Um herauszufinden wie das Gebäude im täglichen Betrieb funktioniert, hat eine vierköpfige Testfamilie das Gebäude knapp zweieinhalb Jahre auf die Probe gestellt. Begleitet wurde dieses Wohnexperiment durch ein umfassendes wissenschaftliches Monitoring der Technischen Universitäten Braunschweig und Darmstadt sowie der Humboldt-Universität zu Berlin. Von Januar 2012 bis März 2014 standen Gesamtenergieverbrauch, Energieproduktion und Gebäudeautomation des modernisierten Siedlerhauses im Fokus der Wissenschaftler der TU Braunschweig. Gleichzeitig nahmen sie auch die Raumluft und Tageslichtqualität des Gebäudes genau unter die Lupe, denn eine gute Energiebilanz allein schafft noch kein Wohlfühlklima für die Bewohner. Deren subjektiven Bewertungen wurden von den Soziologen der HU Berlin aufgezeichnet und ausgewertet. Hierfür beantwortete die Testfamilie im Rahmen von qualitativen Interviews, Gruppendiskussionen und Onlinebefragungen regelmäßig Fragen zu ihrem persönlichen Wohn- und Wohlfühlgefühl, um einen Bezug zu den quantitativen Messwerten herzustellen. Von Februar 2013 bis März 2014 ergänzte zudem ein Elektroauto das Wohnexperiment, um Erkenntnisse darüber zu gewinnen, inwieweit Null- oder Plusenergiegebäude in Verbindung mit Elektromobilität bereit für eine breite Nutzung sind.

Wie relevant das LichtAktiv Haus für das Bauen und Wohnen der Zukunft ist, zeigt die Berücksichtigung des Projektes bei internationalen Kongressen rund um das Thema nachhaltige Architektur, wie der PLEA 2013 in München und der WSB14 in Barcelona, sowie die Auszeichnung mit dem „Bundespreis ecodesign“. Zudem ist das modernisierte Siedlerhaus ein offizielles Projekt der Forschungsinitiative „Zukunft Bau“ des Bundesministeriums für Umwelt und Bau (BMUB), in dessen Rahmen der Gebäudestandard „Effizienzhaus Plus“ als Beitrag für die Energiewende erarbeitet wurde.

 

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Die Ergebnisse des physikalischen Monitorings im Überblick

Im Rahmen des Wohnexperiments wurden seit Januar 2012 kontinuierlich alle Daten zu Energieerzeugung und -verbrauch sowie das Außenklima und die entsprechenden Innenraumwerte quantitativ erfasst und dokumentiert. Im Einzelnen lassen sich folgende Ergebnisse festhalten:

Innenraumklima und Luftqualität

Die Raumtemperaturen betragen im Mittel 22-23°C und sorgt ganzjährig für Behaglichkeit. Zudem gewährleistet die natürliche Querlüftung in den Sommermonaten auch bei Außentemperaturen von annähernd 40° C noch Temperaturen von 25-28° C im Gebäudeinneren, die aufgrund der Luftbewegung als angenehm empfunden werden. Die relative Raumluftfeuchte ist insbesondere in der Heizperiode im guten Bereich. Im Sommer ist die Luft manchmal etwas zu feucht, was zu einer leichten Einschränkung der Behaglichkeit führen kann. Die Luftqualität (CO2-Gehalt) ist überwiegend gut, im Sommer besser, im Winter etwas schlechter. Zurückzuführen ist das einerseits darauf, dass die Bewohner die automatische Fensteröffnung in der Nacht abschalten. Zudem wird im Winter hin und wieder die Automatik deaktiviert, um Zugerscheinungen beispielsweise beim Fernsehen zu verhindern.

Wärmebedarf

Der Heizwärmebedarf im Gebäude ist geringer als vorausberechnet – und das, obwohl die Innenraumtemperatur im Winter durchschnittlich rund zweieinhalb Grad über den nach Norm kalkulierten Werten lag. Dieses Ergebnis zeigt, dass ein niedriger Energieverbrauch auch mit einer bedarfsgerechten natürlichen Lüftung ohne Wärmerückgewinnung erzielt werden kann.

Trinkwarmwasserbereitung

Der Anteil der Trinkwarmwasserbereitung am Gesamtwärmeverbrauch ist sehr gering. Insgesamt liegt der Verbrauch deutlich unter der Kalkulation und zeigt, dass die Bewohner sparsam mit Warmwasser umgehen. Der Warmwasserverbrauch liegt bei etwa 15 Litern pro Person und Tag.

Photovoltaik

Der Jahresertrag der Photovoltaik-Anlage in 2013 liegt 10 Prozent über den berechneten Werten und mit 7.692 kWh auf dem Niveau von 2012. Der regenerative Deckungsanteil am Gesamtstromverbrauch durch die PV-Anlage beträgt 56 Prozent (Endenergie) bzw. 66 Prozent (Primärenergie). Die Verringerung des regenerativen Deckungsanteils gegenüber 2012 ist auf den nochmals gestiegenen Verbrauch der Anlagentechnik sowie das Elektrofahrzeug als zusätzlichen Verbraucher zurückzuführen.

E-Mobilität

Seit Februar 2013 ergänzt ein Elektroauto das Wohnexperiment und erhöht die Eigennutzungsquote der solar gewonnenen elektrischen Energie. Die gemessenen Daten zeigen eine regelmäßige Nutzung des Fahrzeugs. Insgesamt wurde das Auto mit 2.816 kWh Strom am Haus geladen. Bei einem durchschnittlichen Verbrauch von 17,8 kWh pro 100 Kilometer entspricht das einer Fahrleistung von etwa 15.800 Kilometern.

Wasserverbrauch

Der Verbrauch an Frischwasser ist mit etwa 85 Litern pro Person und Tag gering im Vergleich zum Bundesdurchschnitt in Höhe von ca. 120 Liter Frischwasserverbrauch pro Person und Tag. Dies ist unter anderem auf Regenwassernutzung zurückzuführen, durch die ca. 30 Prozent der Frischwassermenge eingespart werden.

Solarthermie und Geothermie

Die solarthermische Anlage ist mit ca. 19 m² deutlich überdimensioniert. Die nicht nutzbaren bzw. im Wasserspeicher nicht speicherbaren Erträge wurden ursprünglich über die Außeneinheit der Wärmepumpe abgeführt. Im Laufe des Jahres 2013 sind zwei Doppel-U-Erdsonden mit einer Länge von jeweils 50 Metern in die Gebäudeversorgung eingebunden worden. Hierdurch ist es nun möglich, bei hohen Speichertemperaturen das Erdreich als Wärmesenke bzw. -speicher zu nutzen. Dadurch entfällt einerseits der Stromverbrauch, der bislang für die Rückkühlung der solarthermischen Überschüsse notwendig war. Zudem kann nun im Winter eine höher temperierte Wärmequelle als die Außenluft genutzt werden, was ebenfalls zu einer Reduzierung des Stromverbrauchs führt.

Energieperformance

Das Ziel „Nullenergiehaus" wird in 2013 nicht erreicht. Dieses ist vor allem darauf zurückzuführen, dass die Anlagentechnik deutlich mehr Strom verbraucht als kalkuliert. Die Abweichungen des gemessenen Stromverbrauchs der Anlagentechnik gegenüber dem nach EnEV kalkulierten Verbrauch betragen etwa 65 Prozent. Auch nach einer Normalisierungsberechnung des Verbrauchs, mit deren Hilfe abweichende Raumtemperaturen und Witterungsbedingungen gegenüber der EnEV-Auslegung bereinigt werden, liegt der Stromverbrauch der Anlagentechnik etwa 48 Prozent über der ursprünglichen Kalkulation.

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Die Ergebnisse des sozialwissenschaftlichen Monitorings im Überblick

Im Rahmen des Wohnexperiments im LichtAktiv Haus kamen verschiedene sozialwissenschaftliche Untersuchungsinstrumente zum Einsatz. Diese ermöglichten es, die Einstellungen der Testfamilie zu ihrem neuen Zuhause und mögliche Veränderungen im Zeitverlauf zu erfassen. Hierzu gehörten neben Gruppendiskussion zu Beginn des Experiments sowie im Wechsel der vier Jahreszeiten durchgeführte, leitfadengestützte Interviews mit der Familie vor Ort im LichtAktiv Haus. Zudem füllten die Bewohner etwa alle vier Wochen einen Online-Fragebogen mit offenen und geschlossenen Fragen zu den Dimensionen des Wohlbefindens aus und etwa alle vier bis acht Wochen wurden mit den Eltern vertiefende, leitfadengestützte Interviews in Form von Videotelefonaten durchgeführt. Die Auswertung der im Detail protokollierten Aussagen ermöglichte es den Wissenschaftlern, den Einfluss des LichtAktiv Hauses auf das Wohlbefinden der Familie zu beurteilen.

Nach über zwei Jahren intensiven, sozialwissenschaftlichen Monitorings stellt das Wissenschaftsteam der Humboldt-Universität zu Berlin dem Velux LichtAktiv Haus ein positives Zeugnis aus. Das Gebäude bietet einen hohen Wohnkomfort und vermag es auf besondere Weise, das individuelle Wohlbefinden der Bewohnerinnen und Bewohner zu steigern.

Im Einzelnen bleibt folgendes festzuhalten:

  • Das Velux LichtAktiv Haus hat einen sehr positiven Effekt auf die Gemütslage, die Gesundheit und die Produktivität der Bewohnerinnen und Bewohner.

  • Im Allgemeinen bestand eine große Zufriedenheit mit dem gebotenen Komfort in Bezug auf die Dimensionen Lufttemperatur und -qualität.

  • Das viele Tageslicht, die stetige Frischluft sowie das großzügige Raumangebot sind in besonderem Maße für den positiven Einfluss des Gebäudes verantwortlich.

  • Die Bewohnerinnen und Bewohner hielten sich mit dem Einzug in das Velux LichtAktiv Haus deutlich häufiger zuhause auf, konnten die dortigen Aktivitäten mehr genießen und haben auch öfter Besuch empfangen, als das in ihrer alten Wohnung der Fall war. Es ist somit ein positiver Einfluss auf das Sozialleben festzustellen.

  • Der Umgang mit der in dem Haus verbauten Technik wurde zügig erlernt und die Techniksteuerung in relativ kurzer Zeit wie selbstverständlich in das Alltagsleben integriert.

Die Bewohnerinnen und Bewohner zeigten sich im Laufe der Zeit sensibler und interessierter in Bezug auf den Aspekt der Nachhaltigkeit und legten auch ihrem Energiesparverhalten höhere Maßstäbe zugrunde.