04
Februar
2014
|
16:22
Europe/Amsterdam

Tageslicht: das Bio-Produkt unter den Lichtquellen

Moderne Architekturkonzepte kommen ohne Energie einsparende Tageslichtnutzung nicht mehr aus. Allerdings beschreibt der rein energetische Ansatz nur einen Aspekt von Tageslicht in der Architektur. Im Rahmen des Velux Daylight Symposiums 2013 in Kopenhagen wiesen die Teilnehmer aus Wissenschaft und Lehre sowie Architekten und Lichtdesigner auch auf die zentrale biologische Bedeutung von Tageslicht hin. Während des zweitägigen Kongresses präsentierten die Teilnehmer neue Erkenntnisse über die Wirkung von Licht auf die Gesundheit und das Wohlbefinden von Menschen und diskutierten die Auswirkungen auf die Lehre und Praxis in der Architektur.

Die Entwicklung des Menschen ist ein Prozess von Millionen von Jahren. Bis zu 12.000 Jahre kann es dauern, bis sich die Gene des Menschen auf eine veränderte Situation angepasst haben. Das elektrische Licht dagegen kann bislang nur eine gut 150-jährige Geschichte vorweisen und hat dem Menschen somit keine Chance gelassen, sich genetisch an die künstlichen Lichtquellen und ihren spektralen Aufbau anzupassen. Deshalb zählt die Forschung über die Wirkung von Licht auf die Gesundheit und das Wohlbefinden von Menschen zu den spannendsten Themen des letzten Jahrzehnts.

 

Tageslicht – Taktgeber des Lebens

Die aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse bei der Erforschung des Einflusses von Hell-Dunkel-Zyklen und deren Veränderung auf die sogenannte „innere Uhr“ (Chronobiologie), der Interaktion zwischen Licht und Organismen (Photobiologie), der Biologie von Fauna und Flora in der Nacht (Scotobiologie) und nicht zuletzt auf den Gebieten der Neurowissenschaft und der Neuroästhetik deuten zweifelsfrei darauf hin, dass das uns umgebende Licht eine direkte Wirkung auf Körper und Geist des Menschen hat. Tageslicht, Gesundheit und Lebensfreude sind unzertrennlich miteinander verbunden. Das mit dem Lauf der Sonne synchronisierte Gleichgewicht von Licht und Dunkelheit hat sich in Verbindung mit dem je nach Tages- oder Jahreszeit variierendem Rot- bzw. Blauanteil des natürlichen Lichts als Leitkomponente des Lebens und als Basis unserer Gesundheit und unseres Wohlbefindens herausgestellt. Diese elementare Bedeutung des Tageslichts spiegelt sich auch in der in der tausende Jahre alten Geschichte der Architektur wider. Spirituelle Orte und sakrale Bauten – Angefangen mit Stonehenge über den Pantheon in Rom (Apollodor von Damaskus) mit seinem runden Oberlicht im Zentrum der Kuppel bis hin zur Kapelle von Ronchamp (Le Corbusier) mit ihren verschieden großen, tief eingeschnittenen Lichtöffnungen und farbigen Gläsern – zeigen, dass Tageslicht für den Geist und die Seele des Menschen von grundlegender Bedeutung ist. Und auch in der heutigen Zeit werden Gebäude mit anspruchsvollen Tageslichtlösungen als gelungene architektonische Referenzen angeführt.

Licht ist nicht gleich Licht

Nahezu alle chemischen Prozesse in unserem Körper stehen direkt oder indirekt mit der Lichtqualität in Zusammenhang. So konnte beispielsweise Prof. Dr. med. Markus J. Schwarz vom „Klinikum und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität München“ in seiner Forschung die komplexen Zusammenhänge zwischen der Lichtqualität und den Funktionen und Erkrankungen von Körperorganen bis hin zu Altersdemenz und Schizophrenie belegen. Insbesondere ist es hier das Vitamin D, das die Gesundheit des Menschen positiv beeinflusst und dessen Fehlen zu Störungen in den Funktionen führt. Seine Bildung steht in direkter Abhängigkeit von Licht – insbesondere von Tageslicht. Ein Vergleich des Effektes von Tages- und Kunstlicht verdeutlicht den Unterschied: So reicht eine Sonnenlichteinwirkung von 22 Minuten in der Mittagszeit aus, um eine vorübergehende Erhöhung der Vitamin-D-Konzentration herbeizuführen. Dass es sich hierbei um eine erhebliche Strahlenmenge handelt, zeigt zum einen die Tatsache, dass bereits 65 Prozent dieser für eine Änderung der Vitamin-D-Konzentration benötigten Sonnenlichteinwirkung ausreicht, um bei heller, empfindlicher Haut eine Rötung hervorzurufen. Zudem zeigt der Vergleich mit den Daten eines Herstellers von UV-B-Leuchtstofflampen, welche die ultraviolette Strahlung des Sonnenlichts simulieren, dass für den gleichen Effekt eine durchgehende Belichtung durch in Deckenhöhe angebrachte Lampen von mindestens 30 Stunden erforderlich ist.

Dass insbesondere Tageslicht ein unverzichtbarer Faktor für den Menschen als Lebewesen ist, führte auch US Lichtdesigner James Benya bei seinem Vortrag im Rahmen des Symposiums aus. Sein Vergleich des spektralen Aufbaus der unterschiedlichen Lichtquellen belegt, dass keine künstliche Lichtquelle die hohen Farbtemperaturwerte des natürlichen Tageslichts abbilden kann. Denn während die Farbtemperaturwerte des von uns als weiß wahrgenommenen Tageslichts im Durchschnitt zwischen 6500 bis 15000 Kelvin liegen, erreichen künstliche Lichtquellen nur zwischen 2500 und 6500 Kelvin. So genannte tageslichtweiße Leuchtstofflampen versuchen lediglich, sich der Lichtfarbe des Tageslichtes anzunähern und auch LEDs weisen nicht die erforderlichen spektralen Eigenschaften auf, um Tageslicht ersetzen zu können. Damit ist bislang keine Kunstlichtquelle in der Lage, dem Menschen die gleiche oder sogar eine bessere Lichtqualität zu bieten kann, als es das natürliche Licht vermag.

Tageslicht und Ausblick

Doch ist es nicht das Licht und sein spektraler Aufbau allein, das unser Wohlbefinden beeinflusst. Wie Dr. Martine Knoop von der TU Berlin im Rahmen ihres Vortrages darlegte, hat auch der Blick in den Außenraum eine immense psychologische Bedeutung. Nur das Fenster und somit der Zugang zum dreidimensionalen Raum gibt uns Menschen das Gefühl, mit der Außenwelt in Verbindung zu stehen. Da der Mensch jede Lichtquelle, die aus einem Punkt heraus entsteht, als Leuchte einstuft, reicht es nicht aus, Tageslicht durch lichtleitende Rohre in die Gebäude zu transportieren. Die biologische Referenz ist erneut die menschliche Entwicklung: Im Frühstadium seiner Entwicklung musste der Mensch in der Savanne Gefahren in der Distanz erkennen können. Der Blick in die natürliche Umgebung und das Tageslicht waren die entscheidenden Faktoren, um zu überleben und sich als Mensch weiterzuentwickeln.

Tageslicht und Architektur

Die Folgen von schlechter Lichtqualität für Gesundheit und Leistungsfähigkeit lassen sich mittlerweile quantifizieren. Studien belegen, dass Menschen, die an ihrem Arbeitsplatz über wenig Tageslicht verfügen, nach einiger Zeit über zahlreiche Befindlichkeitsstörungen klagen. Je weiter der Arbeitsplatz im Rauminnern und damit von Fenstern entfernt liegt, desto stärker fallen diese Störungen aus. Auch bei Kindern, die sich in vorwiegend künstlich beleuchteten Klassenräumen aufhalten, wurden vermehrt psychomotorische Beeinträchtigungen festgestellt. Es sind also nicht mehr nur Ansichten und Meinungen, die das Tageslicht als bedeutenden Faktor der Architektur beschreiben, sondern wissenschaftliche Erkenntnisse, die als Grundlage für die architektonische Ausformulierung dienen. Der Fachbegriff lautet epigenetisches Design. „Die zurzeit wichtigste Aufgabe ist, das Wissen über die Bedeutung des Tageslichtes aus den Labors in die Praxis zu übertragen“, beschreibt die amerikanische Innenarchitektin Deborah Burnett die Situation in der Architektur.

Eine Konsequenz aus den bisherigen Erkenntnissen ist die Anpassung von Normen. In Zukunft wird die Beleuchtungsstärke nicht mehr nur nach Lux und Lumen geplant werden müssen, sondern auf Basis der biologisch bewerteten Bestrahlungsstärke. Ziel ist im Wesentlichen eine Stabilisierung der „inneren Uhr“ des Menschen und damit eine Steigerung des Leistungsvermögens und der Konzentrationsfähigkeit in den aktiven Phasen. Zugleich soll die Planung und Anwendung von biologisch wirksamen Licht für eine nachhaltige Verbesserung der Regeneration in den Erholungsphasen sorgen. In Deutschland wurde mit der DIN SPEC 67600 – hierbei handelt es sich im Prinzip um eine 'Vor-Norm' – bereits eine entsprechende Planungsempfehlung erarbeitet und veröffentlicht, die auf die Bedürfnisse des Menschen in den jeweiligen Architekturumfeldern eingeht. Auch auf europäischer Ebene wird aktuell an einer internationalen Norm gearbeitet. Dabei fließen die Erfahrungen der Deutschen Industrienorm in die Diskussionen ein.

Ausblick

In naher Zukunft werden Architekten und Lichtdesigner sowie Leuchten- und Lampenhersteller das Wissen über das Tageslicht als Chance sehen, Bauherren und Kunden noch gezielter beraten zu können. Moderne Architektur lässt sich zukünftig deshalb als tageslichtdurchflutet beschreiben: Gebäude, in denen sich die Nutzer wohler fühlen, Bürobauten, in denen die Mitarbeiter produktiver arbeiten, Schulen, in denen Kinder effizienter lernen und Krankenhäuser, aus denen die Patienten schneller entlassen werden, weil der professionelle Planer den Zusammenhang zwischen Licht und Gesundheit versteht. Und das Beste ist: Die Natur bietet uns all diese Vorzüge völlig kostenfrei und im Überfluss – wir müssen sie nur nutzen!

von Astrid Unger, Velux Deutschland GmbH