10
Dezember
2013
|
18:33
Europe/Amsterdam

Ganz privat in exponierter Lage

Der Neubau auf dem Grundstück einer früheren Gärtnerei lehnt sich auf der Ostseite an die Brandwand einer typischen Zeile von Berliner Hinterhäusern an. Er nimmt deren vordere und hintere Fluchtlinie auf und interpretiert mit teils flach, teil geneigt ausgeführtem Dach spielerisch die bei den Nachbarn vorhandenen Dachformen. Damit enden jedoch die Gemeinsamkeiten. Denn ausgerechnet im oft als „steinerne Stadt“ apostrophierten Berlin errichteten brandt + simon architekten das dreigeschossige Einfamilienhaus komplett aus Holz. Wobei die Bauweise nicht primär als architektonischer Kontrapunkt zur Umgebung gemeint ist, sondern sich ganz pragmatisch aus den Wünschen des Bauherrn nach Energieeinsparung und nachhaltigem Bauen ergab. Vor allem sollten nur ökologische und hinsichtlich der Wohngesundheit unbedenkliche Baustoffe zum Einsatz kommen. Unter diesen Bedingungen erwiesen sich voll gedämmte Holzkonstruktionen für die Wände und das Dach als die schlankere Lösung gegenüber den alternativ ebenfalls geprüften Massivbauweisen. Knapp 50 cm dicke Außenwände sorgen heute für einen zeitgemäß geringen Jahres-Heizwärmebedarf von nur 35 kWh/m². Zugleich erlaubten sie eine platzsparende Grundrissausnutzung mit 156 m² Wohnfläche im Haus und einem dreiseitig anschließenden Garten.

 

Komplett aus Holz

Die Holzständerwände entstanden auf der Baustelle zunächst mit 18 cm dicken Ständern und OSB-Platten als Aussteifung. Anschließend wurde die Konstruktion mit nochmals 18 cm dicken Ständern aufgedoppelt, sodass zwischen ihnen Platz für eine 36 cm dicke Einblasdämmung aus Zellulose war. Die innen liegende Ebene der OSB-Platten übernimmt die Funktionen der Dampfbremse sowie der Luftdichtheit und ist mit Gipsfaserplatten bekleidet. Den äußeren Abschluss bildet eine Holzfaserdämmplatte mit umlaufendem Nut- und Federprofil. Sie unterstützt die Zellulosedämmung sowohl beim winterlichen Wärmeschutz als auch beim sommerlichen Hitzeschutz, dient aber vor allem als Unterdeckplatte für die Fassade. Dieser einfache, aber wärmetechnisch hochwirksame Aufbau konnte weitgehend baugleich auch für den geneigten und den flachen Teil des Dachs übernommen werden, sodass eine homogene, an jeder Stelle gleichwertige Gebäudehülle entstand.

 

Statt der OSB-Platten dient im Dach eine feuchteadaptive Bahn als Dampfbremse. Ihr Diffusionsverhalten variiert mit der Luftfeuchtigkeit und dadurch letztlich mit der Jahreszeit. In trockner Winterkälte ist der Diffusionswiderstand hoch und die Konstruktion deshalb gut gegen das Eindringen von Feuchte geschützt. In der hohen relativen Luftfeuchtigkeit des Sommers nimmt der Diffusionswiderstand feuchteadaptiver Bahnen hingegen ab, sodass ein Austrocknen zur Raumseite möglich ist. Der flach geneigte Dachteil ist mit wurzelfesten Bitumenbahnen abgedichtet, sodass perspektivisch eine Dachbegrünung ergänzt werden kann. Wie das Dach, sind auch alle Decken zwischen den Geschossen als Balkenkonstruktionen ausgeführt worden.

 

Bewegung in und auf der Fassade

Die Holzbauweise war auch Ausgangspunkt der Überlegungen zur Fassade. „Das normale Schwind- und Quellverhalten einer Holzkonstruktion im Jahreszeitenwechsel und die damit verbundenen Längenänderungen verlangen nach einer flexiblen Bekleidung für die Fassade“, beschreiben brandt + simon architekten ihre Intentionen. „Mit der Eindeckung aus Biberschwanzziegeln wurde eine massive und dauerhafte Lösung gefunden, die durch zahlreiche unverschlossene Fugen, Bewegungen in den Bauteilen schadensfrei kompensieren kann und gleichzeitig einen langfristig wartungsarmen Wetterschutz bietet.“ Die glasierten Biber sind wie eine klassische Dachdeckung auf Lattung und Konterlattung verlegt, wegen der Verarbeitung in der Senkrechten jedoch zusätzlich verschraubt. Als kleinteilige, durchgehende Hülle umspielen sie die Ecken und verlaufen in verschiedenen Grüntönen, von dunkel nach hell, bis in das geneigte Dach hinein. Inspiriert durch Künstler der Op-Art wie Victor Vasarely wurde ein sich wiederholendes Muster entworfen. Die keramische Qualität des Fassadenmaterials ist gleichzeitig eine Reminiszenz an die Azulejos, die im Heimatland des Bauherren verbreiteten Fliesenbilder an Fassaden. Entfernt man sich von der Fassade, entsteht der Eindruck einer Bewegung assoziierenden Fläche von Bildpunkten. Wenn das Gebäude und die umliegenden Bäume und Sträucher ineinander fließen offenbart sich eine weitere Lesart der Fassade als Blattwerk, dessen Grüntöne das Gartenhaus beschreiben.

 

Lichtspots für die Bibliothek

Innerhalb der Fassade fallen auf jeder Gebäudeseite große, teilweise die gesamte Raumbreite füllende Fenster auf. Von der Küche mit dem Essbereich geht der Blick auf die westlich anschließende Terrasse, vom Wohnbereich in den Garten und vom Arbeitszimmer schaut man über die Baumwipfel in den Himmel nach Norden.

Einen spürbaren Kontrast dazu bilden die viel geringer bemessenen Ost- und Südfenster des obersten Geschosses. Hier befindet sich die Bibliothek, in der die Wände als Stellfläche für Bücherregale gebraucht werden. Gleichzeitig erzeugen die tief in den Leibungen sitzenden kleinen Lichtflächen ein Ambiente von Geborgenheit und Intimität. Um trotzdem genügend Licht in den Raum zu leiten, wurden zusätzlich zu den Fassadenfenstern vier Dachfenster im geneigten Dachteil ergänzt, die fast in der Art von Lichtspots den Raum in ein überwiegend indirektes Licht tauchen. Durch diese Planung bietet die Bibliothek heute trotz ihrer gegenüber den Nachbarhäusern exponierten Lage viele sehr private und nicht einsehbare Flächen.

 

Elektrische Dachfenster mit Zusatznutzen

Wegen der Einbaulage hoch über dem Kopf kamen VELUX Elektrofenster zum Einsatz, bei denen Motor und Steuerung für den Automatikbetrieb bereits ab Werk optisch unauffällig integriert sind. Bauseits muss lediglich die 230-V-Stromversorgung verlegt werden. Das Öffnen und Schließen der Fenster wird in der Bibliothek mit einer Funkfernbedienung gesteuert. Alternativ sind fest installierte Wandtaster möglich. VELUX Elektrofenster erhöhen nicht nur den Bedienkomfort, sondern können auch die Wohnbedingungen verbessern. Denn über die Fernbedienung lassen sich bestimmte Zeiten für die Fensteröffnung voreinstellen, sodass eine planmäßige Lüftung auch bei Abwesenheit der Bewohner sichergestellt ist. Zur Grundausstattung gehörende Regensensoren schließen die Fenster selbsttätig bei aufkommendem Niederschlag. Zum unpassenden Zeitpunkt automatisch geöffnete, oder auch vom Menschen vergessene offene Fenster, sind damit ausgeschlossen.

 

Die VELUX Elektrofenster gruppieren sich auf dem nach Süden orientierten geneigten Dachteil um die solarthermischen Kollektoren, die den Warmwasserbedarf des Hauses decken und auch heizungsunterstützend eingebunden sind. Zusätzlich wird das Haus bei Bedarf mit einer Gasbrennwerttherme über eine Fußbodenheizung erwärmt. Durch die großen Heizflächen ist eine sehr geringe Vorlauftemperatur und damit sparsames Heizen möglich.

 

Bautafel

Projekt: Einfamilienhaus „Schuppen“, Berlin

Architektur: brandt + simon architekten, Berlin

Tragwerksplanung: Ingenieurbüro für Tragwerksplanung Dr.-Ing. Christian Müller, Berlin

 

Brutto-Rauminhalt: 734 m³

Wohnfläche: 156 m²

Bauzeit: 25 Wochen

Fertigstellung: Sommer 2009

Baukosten KG 300+400 brutto: 1.030 EUR/m² BGF

Jahres-Heizwärmebedarf: 35,0 kWh/m²

Jahres-Primärenergiebedarf: 53,9 kWh/m²

 

Holzständerbauweise (2 x 18 cm) mit 36 cm Zellulose-Aufblasdämmung zwischen den Ständern

Ca. 8.350 farbig glasierte Biberschwanzziegel für Fassade und Dach

4 VELUX Elektro-Schwingfenster GGL C04 für die Bibliothek